von Dr. Martina Scharrer
Alles wackelt, .... es ist wie ein Erdbeben, ...“, er habe große Angst sind die Aussagen eines 13-jährigen Angstpatienten über Videosprechstunde. Dieses neue Format der Psychotherapie sei für ihn komisch, er schäme sich, er würde lieber persönlich kommen, allerdings sei seine Mutter in Quarantäne.
Die Welt, wie sie uns vertraut war „wackelt“ und droht auseinanderzubrechen, die Zukunft scheint ungewiss, unser Gefühl der Sicherheit ist dabei, zu verschwinden. Unser Kontaktverhalten folgt paradoxen, scheinbar widersprüchlichen Regeln, denn wir sind hilfreich, wenn wir auf Kontakt und Nähe verzichten, uns absondern und isolieren. Die meisten Kinder und Jugendlichen bleiben so gut es eben geht zu Hause, leisten mit ihren Eltern ihren Beitrag, um eine massenhafte Verbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 zu vermeiden.
Mit den psychischen Auswirkungen beschäftigt sich u.a. die Rezension „The psychological impact of quarantine and how to reduce it: rapid review of the evidence” (https://www.thelancet.com), welche auf einer Vielzahl von Erfahrungen mit unterschiedlichen Epidemien wie SARS, Ebola, Influenza, etc. gründet. Welche Bedeutung haben isolierende Maßnahmen wie Quarantäne auf die Psyche der Betroffenen?
Insgesamt zeigt die Studie negative psychologische Effekte auf, die darüber hinaus auch dramatische Folgen für die Persönlichkeit hervorbringen kann, so dass es nach kritischer Abwägung verlangt. „Separation from loved ones, the loss of freedom, uncertainty over disease status, and boredom can, on occasion, create dramatic effects. Suicide has been reported, substantial anger generated, and lawsuits brought following the imposition of quarantine in previous outbreaks. The potential benefits of mandatory mass quarantine need to be weighed carefully against the possible psychological costs. Successful use of quarantine as a public health measure requires us to reduce, as far as possible, the negative effects associated with it.” (ebd.)
Es werden Symptome einer akuten Belastungsreaktion benannt, Angst, Schlafstörungen, innere Distanzierung von Mitmenschen, Gefühlen der Schuld, Konfusion, Resignation und Depression, Traurigkeit und einem erhöhten Maß an Aggression und Wut als Folge beschrieben, psychische Konsequenzen, die andauern können und/oder gar in eine Posttraumatische Belastungsstörung münden. Mögliche vergleichbare Folgen werden auch in einem Zeit-online Artikel beschrieben, welcher über die Erfahrungen der Psychologin Du Mingjun in Wuhan berichtet.
Wenn wir uns der kindlichen Seele zuwenden, kann davon ausgegangen werden, dass Kinder in diesen „Ausnahmezuständen“ nicht nur unter der eigenen Separation, der Isolation von Kontakten, von der Klassengemeinschaft, von Großeltern, von Freund*innen, etc. leiden. Sie erfahren auch in sehr intensiver Weise die hohen psychischen Belastungen ihrer Eltern, die diesen Bedingungen ausgesetzt und oben beschrieben sind. Auf die bedeutsamen Zusammenhänge elterlicher psychischer Belastungen und der Befindlichkeit des Kindes ist in der Studie verwiesen, diese liegen aber auch – wie ich meine - auf der Hand.
Wie kann mit dieser durchaus potentiell äußerst angespannten Situation für Kinder und Jugendliche umgegangen werden, um Konsequenzen psychischer Folgeerscheinungen zu minimieren? Der Psychologe Frank Jacobi (Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie (Schwerpunkt Verhaltenstherapie) an der Psychologischen Hochschule Berlin) stellt in seinem sehr aktuellen Artikel „Wie Sie häusliche Isolation und Quarantäne gut überstehen - Psychologische Hilfen in herausfordernden Zeiten“ (https://www.psychologische-hochschule.de/2020/03/jacobi_umgangmitquarantaene) Maßnahmen dar, die für diese Situationen hilfreich und unterstützend sind. Auch Kinder und Jugendliche werden bedacht, indem den Eltern – wie ich meine – sinnvolle Handlungsempfehlungen aufgezeigt werden, um den Tag zu überleben.
Als psychodynamische Kinder – und Jugendlichenpsychotherapeutin sehe ich gerade in dieser Situation die Aufrechterhaltung des Kontaktes – in unterschiedlichen Formen – für absolut notwendig und sinnvoll. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich in diesem Kontext womöglich unsere Schwerpunkte psychotherapeutischer Arbeit verändern und auch die Kontaktformen einem nicht unerheblichen Wandel unterliegen.
Dennoch: ein Ziel dieser Interventionen muss m.E. im Versuch begründet liegen, den kindlichen Patienten aus einem regressiv anmutenden Krisenmodus im Kontakt immer wieder herauszuführen. Dieser „Modus“ kann aus Ängsten, aus Zwängen, aus frustrierenden Gefühlen der Langeweile bestehen, aus Gefühlen der Hilflosigkeit, der Einsamkeit und Wut, Gefühle, die nach psychotherapeutischer Resonanz verlangen, nach Aufnahme und Akzeptanz. Ein verstärktes Verständnis, dass Ich-Steuerung eingeschränkt scheint, Gefühle der Hilflosigkeit und Verunsicherung nach Halt im erwachsenen Gegenüber suchen. Diese Effekte sind breit gefächert, sind erheblich und können lang anhalten. Umso wesentlicher erscheint es mir, Möglichkeiten zu eröffnen im Kontakt bleiben zu können, ein Forum bereitzustellen, Gefühle benennen und mitteilen zu können, gemeinsam Phantasien zu entwickeln und vielleicht auch nur für Momente des Kontaktes, den Krisenmodus in einen spielerischen Modus zu verwandeln. Bei Jugendlichen scheint die Ausgangssituation ähnlich, allerdings scheinen die Abwehr der Ängste zentraler, von Wut über aggressives Gebaren bis hin zu selbst- und fremdgefährdenden Verhaltensweisen, diese gerade hinsichtlich der Ansteckungsgefahr.
Die Autonomie scheint auf nicht unerhebliche Weise bedroht und erfordert ein Gegenüber, welches aus meiner Sicht auch bereit ist zu diskutieren und zu überzeugen. Und dieses kann m.E. nicht dem Zufall überlassen werden, sondern muss auf der Grundlage gewachsener psychotherapeutischer Beziehung fußen.
Martina Scharrer