von Hendrik Zill
Die aktuelle Corona-Krise stellt besonders auch für psychisch kranke Kinder und Jugendliche sowie deren Familienangehörige eine große Belastung dar. Anna Freud (1977)[1] behielt den Begriff der „Furcht“ für reale „Gefahren, die das Individuum aus der Außenwelt bedrohen“, vor, hingegen den der „Angst“ für „Bedrohungen aus der Innenwelt“ (das heißt vor Triebregungen, Wünschen, Gefühlen).

Nun stellt die Corona-Pandemie eindeutig eine unsichtbare Außenweltbedrohung für die Sicherheit und Existenz dar, da es aktuell noch nicht absehbar ist, ob ein Impfstoff oder Medikamente zur „Verteidigung“ entwickelt werden können und derzeit nur die „Flucht“ in die Isolation möglich ist. Derartige Zustände leisten der Entwicklung von Furcht Vorschub und die Abwehr- und Bewältigungsfähigkeiten werden schon bei psychisch gesunden Menschen stark auf die Probe stellt. Jedoch bei psychisch vorbelasteten Menschen kann eine derartige Bedrohungslage zu massiven Symptomverstärkungen bis hin zu dramatischen Dekompensationen führen.

Bereits 1942[2] fragte sich Anna Freud, „warum manche Kinder während eines Bombardements fast angstfrei bleiben, viele nur leichte Angst zeigen, während einige wenige mit heftigen Angstausbrüchen reagieren.“ Demnach scheinen über die reale Bedrohung – durch Krieg oder eine Pandemie – hinaus weitere Aspekte darüber zu entscheiden, ob diese traumatisch verarbeitet wird oder eine gewisse Stabilität aufrechterhalten werden kann. Anna Freud und D. Burlingham beobachteten neben der Angst infolge drohender Erregung der Destruktivität, drei weitere Quellen, welche meines Erachtens einen entscheidenden Einfluss auf die Verarbeitung der aktuellen Corona-Krise ausüben.

Gerade für Kinder im Vorschulalter, die sich im Rahmen der Gewissensbildung mit „den Geboten und Verboten der Erziehungsperson“ auseinandersetzen, können die aktuellen gesundheitlichen Gefahren „als neue…Symbole für alte Ängste“ „vor Strafe oder…, die Liebe der Eltern zu verlieren“ fungieren, die in „phantastischen Strafvorstellungen“ zum Ausdruck kommen. Um derartigen Entwicklungen so gut es geht entgegen zu wirken, ist die Weiterführung von laufenden Kinderpsychotherapien als dringend anzusehen.

Von außerordentlicher Bedeutung ist die Erkenntnis, dass „das Kind auch noch die Angstreaktionen seiner Mutter und, in gemilderter Form, der ganzen erwachsenen Umgebung“ teilt. So bemerkte Anna Freud bei ihren Beobachtungen von Kriegskindern: „wenn die Mutter sich fürchtet, zittert das Kleinkind vor Angst; wenn die Mutter ruhig ist, beruhigt sich das ängstliche Kind automatisch an ihrer Ruhe.“ Da sich vor allem die Jüngeren mit der Angst ihrer Bezugspersonen identifizieren, ist die Beruhigung der Eltern ein maßgeblicher Beitrag, um psychisch belasteten Kindern bei der Verarbeitung ihrer Ängste behilflich zu sein. Aber auch bei Jugendlichen und Erwachsenen ist die Gefahr zum Beispiel einer Identifikation mit Panik-verursachenden Fake-News in diesem Hinblick zu beachten.

Eine besondere Risikogruppe stellen Kinder und Jugendliche dar, bei denen durch die aktuellen Geschehnisse Erinnerungen an frühere traumatische Verlusterfahrungen wachgerufen werden, welche die Betroffenen dazu zwingen, „das traumatische Ereignis in allen seinen Einzelheiten wieder zu durchleben.“ Daraus resultierend sollte bei dieser Patientengruppe mit einer erhöhten Gefahr der Dekompensation durch Re-Traumatisierungen gerechnet werden.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in der aktuellen Krisensituation neben den somatisch tätigen Ärzten einen außerordentlich wichtigen Beitrag zum Erhalt oder zur Wiedergewinnung der psychischen Stabilität der Kinder und Jugendlichen und auch deren Abwehrkräften leisten.

Ich wünsche allen viel Kraft, Gesundheit und alles Gute für die kommende Zeit.

Hendrik Zill

[1] A. Freud: „Furcht, Angst und phobische Phänomene“, 1977/1987, In: Schriften, Bd. X, S. 2812
[2] Alle weiteren Textstellen sind aus: A. Freud, „Kriegskinder 12. Bericht Januar 1942“, 1942/1987, In: Schriften, Bd. II